Pamplona, im Baskenland Spaniens, zeigt sich heute von seiner unblutigen Seite. Es ist Winter und die Stierkampfarena ist geschlossen. Die Stiere und die Plaza de Toros haben eine Atempause. Es ist eine Pause, bis zur nächsten Hatz durch die Straßen der Stadt, wenn es wieder heißt, den Mut der Toreros zu testen und das Blut der stolzen Tiere zu vergießen.
Ich überquere die Brücke zur Stadt. Es ist eine alte Brücke. Stein auf Stein gebaut trennt sie das Umland von der nordspanischen Metropole. Mein treuer Wanderstock führte mich schon über die Pyrenäen quer durch die Provinz Navarras in die Hauptstadt der Region. Auf direktem Wege gehe ich weiter zur „Plaza Mayor de Pamplona“. An diesem sonnigen, aber kühlen Nachmittag erscheint der Platz wie leergefegt. In der Mitte befindet sich ein Pavillon. Ich setze mich auf dessen Stufen und warte auf Stefano, meinen Guide. Stefano ist Italiener. Er lebt seit über 17 Jahren mit seiner wunderschönen Frau Veronika in der Stadt. Sie ist gebürtige Spanierin und führt eine der vielen Tapasbars in Pamplona. Wobei die meisten Bars hier halt Pinchos verkaufen und keine Tapas, wie fälschlich angenommen wird.
„Wo steckt er nur?“, entrinnt es mir laut. Doch da sehe ich ihn armeschwenkend auf mich zukommen.
„Pedro, que tal, hombre.“, was so viel heißt wie: „Mann, wie geht es dir?“ Ich winke Stefano rüber und lade ihn ein, neben mir Platz zu nehmen.
„Wie geht es dir Stefano? Siehst gut aus. Komm, lass uns rüber zum Café Iruña gehen. Ich habe echten Kohldampf und eine Flasche Wein ist mehr als angebracht. Lass uns unser Wiedersehen feiern. Die Stiere haben gerade Pause, doch das rote Blut des Weines darf jetzt fließen.“ Stefano, liebt den Wein. Aufgewachsen zwischen Weinreben und Dolce Vita in seiner Heimatstadt in Italien ließ er sich nicht zweimal bitten. Und so schnappte er sich, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, meinen Rucksack, und wir gingen los.
„Pedro, Veronika wird dazukommen. Sie möchte dich endlich mal kennenlernen. Ich schicke ihr eine Nachricht, damit sie uns findet.“
„Natürlich Stefano. Teile ihr mit, dass ich mich freue, ihre Bekanntschaft zu machen.“
Wir betraten das Café. Das Iruña ist ein altwürdiges Etablissement. Es scheint mich regelrecht in die 1920er Jahre zu katapultieren. Ich sehe Hemingway und seine Freunde am Tisch neben dem Kamin sitzen. Sie rauchen selbstgedrehte Zigaretten und trinken Wein aus alten Bechern. Sie reden laut und animiert. Ihre Gesichter scheinen im Nebel des Rauchs zu verschwinden, nur um dann lautlachend-gestikulierend zu erscheinen. Nur die moderne De-Longhi-Espressomaschine bringt mich wieder zurück ins 21. Jahrhundert. Wir setzen uns an einen Tisch, direkt neben der Bar, bestellen eine Flasche Wein, bevorzugterweise aus der Region Navarras.
„Stefano, bist du jemals den kompletten Camino nach Santiago de Compostela gelaufen? Ich meine, so richtig mit Sack und Pack – alles was du brauchst auf dem Rücken und gen Westen? Richtung Finisterre, wo das Letzte das sich dir in den Weg stellt, der Atlantische Ozean ist. Morgen wirst du mich zum Alto del Perdón führen, wie du es seit Jahren für hunderte Menschen getan hast. Warum kommst du nicht einfach mit?“
„Ach Pedro, das würde Veronika nicht gut finden. Ja in mir brennt das Feuer, diesen Weg einmal komplett zu gehen. Jetzt ist nicht der richtige Augenblick.“
„Wann ist dann der richtige Augenblick, Stefano? Ist es der Moment, wenn deine Beine dich nicht mehr tragen, wenn du alle deine Ersparnisse vergeudet hast, wenn du dem Tode nahe bist oder auf deinem Weg in den Himmel? Wann ist der richtige Augenblick für dich, Stefano?“
„Ich kann es dir einfach nicht sagen. Ich denke so oft darüber nach, wie ich es einrichten kann, diesen Weg einmal zu gehen. Ich möchte ihn gehen, aber ich wage diesen Schritt nicht. Veronika möchte ich nicht enttäuschen.“
„Hast du dich jemals gefragt, was sie davon hält, dass du dein Herz vergräbst? Hast du ihr jemals die Chance gegeben, dein wildes, abenteuerliches und ungestümes männliches Herz zu sehen? Kannst du dir nicht vorstellen, dass sie genau diesen Mann liebt? Gib ihr doch eine Chance, dich zu sehen. Vielleicht geht es nur darum, dass du dich wieder so zeigst, wie du einst warst, als ihr euch zum ersten Mal begegnet seid. Vielleicht wartet sie genau auf diesen Mann. Vielleicht wartet sie auf den Abenteurer, den sie eins traf. Vielleicht aber auch wünscht sie sich, dass du dich als Mann entdeckst. Gib Veronika die Möglichkeit, dich zu sehen, und so wirst auch du sie sehen in ihrer Schönheit, ja vielleicht auch Ängste und Bescheidenheit.“
Die Flasche neigt sich dem Ende. Ich bestelle eine Karaffe Wasser. Die Tür zum Café öffnet sich. Es ist Veronika. Sie kommt direkt auf unseren Tisch zu. Ich stehe auf, begrüße sie und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
„Guten Abend Veronika! Schön sie kennenzulernen. Mein Name ist Pedro.“
Aus dem Buch: Tage in Stille