Das Telegramm

 

Der Geruch frischgebrühtem Cafés schwebt durch das ganze Haus. Es ist ein gewohnter Geruch, ein Geruch, der mir ein spürbares Lächeln auf das gerade aufgewachte Gesicht zaubert. Ich springe aus meinem Bett, hinein in meine Hausschuhe, werfe mir den Morgenmantel über und der flüchtige Blick in den Spiegel verrät mir; Junge dir geht es gut. 

Ich gehe die alten Holzstufen runter, die mit jedem Schritt wie aufgescheucht knarren. Die Hausherrin bemerkt mich beim Runterkommen. Die Tassen und Teller geben wie jeden Morgen das Weckkonzert und ich höre, wie die alte Kaffeemaschine anspringt.

„Pedro, wollen sie ihr Croissant aufgewärmt oder wie immer kalt?“, höre ich sie bereits rufen, noch bevor ich die letzte Stufe betreten konnte.

„Guten Morgen, Maria! Das Gebäck, wie immer kalt, frisch und mit ihrem morgendlichen Lächeln auf einen kleinen Teller.“, sage ich, als ich in die offene Küche des Hostels eintrete.

Maria Gonzales ist die Seele des Hauses. Jeden Morgen singt sie die Lieder ihres Geburtsortes in Andalusien und wärmt die kalte Stube im Norden Spaniens mit ihrem feurigen Gesang. Seit über 10 Jahren ist ihr Gasthaus in den Pyrenäen mein Rückzugsort. Ein kleines Dorf, eingepfercht zwischen den immergrünen Bergen Navarras und der weingebenden Region Rioja, die gleich hinter dem Fluss, am Ortsausgang beginnt. Das Gasthaus ist seit 32 Jahren fest in andalusischer Hand und so begrüßt mich jedes Jahr, mit meiner Wiederkehr der Duft frischgepressten Orangensaftes, gläserweise Oliven aber vor allem die Herzlichkeit Marias. Für mich ist es der beste Ort der Welt, um ungestört an den letzten Kapiteln meines Manuskriptes zu arbeiten. Morgens lese ich als Erstes die Zeitung aus meiner Heimat. Es sind Nachrichten, die oft bereits Tage alt sind, und so stören mich die Berichterstattungen aus dem kriegshungrigen Deutschland nicht sonderlich. Die ganze Welt scheint verrückt geworden zu sein. Die Welt, sie verkommt in der Verunmenschlichung seiner selbst, sieht sich in dem, was trennt, anstatt des friedlichen Miteinanders.

„Pedro, ihr Café.“

„Danke Maria.“

„Lassen sie es sich schmecken.“

„Maria, ich erwarte noch ein Telegramm aus Madrid von meinem Freund Frances. Wissen sie, ob der Postbote heute noch kommt?“

„Ich frage Julia, seine Frau. Sie bringt mir noch frisches Obst vom Markt in Estella. Sie kann sicherlich etwas herausfinden.“

„Das wäre wunderbar, Maria.“

Mein Freund und Autorenkollege Frances will mich für ein paar Tage hier in Navarra besuchen. Auf dem Programm steht eine ausgedehnte Wanderung nach Roncesvalles. Frances und ich kennen uns aus unserer gemeinsamen Zeit in Bordeaux, wo wir als Verlagsrepräsentanten für eine sehr bekannte Zeitschrift gearbeitet haben. Mittlerweile sind wir beide der Schriftstellerei verfallen und genießen einen regen und engen Austausch. Dieses Jahr wollen wir die Route des Jakobus in entgegensetzte Richtung für ein paar Tage laufen. Pinchos kommen nicht zu kurz und der literarische Austausch findet in weinbesänftigter Stimmung statt.

„Er ist ein verdammter Franzose“, schrieb meine Mutter einst, als ich wieder mal im Süden Frankreichs unterwegs war. Ich kann es ihr nicht verübeln. Wir verloren unseren Vater und Sie ihren Mann im 1. Weltkrieg. Es war ein Krieg, mit der Französischen Republik, ein Krieg der zwei europäische Kulturen nahe an den Rand der Selbstvernichtung brachte. Frances würde nebenbei nie von sich selbst behaupten, echter Franzose zu sein. „Ich komme aus dem Baskenland, Pedro und eines kann ich dir sagen; wir Basken lieben zwar die französischen Frauen und den Wein; doch mein Herz schlägt im Rhythmus des Euskal Herria“. 

Meiner Mutter ist das egal und doch ist sie nicht wirklich eine verbitterte Frau. Sie sieht mich durch die Welt ziehen und erfährt durch mich, wie ein Leben auch gelebt werden kann. Sie ist eine gute Mutter, eine Frau, die zwar Gram erfahren hat, doch durch die Liebe zu ihrem Sohn erfährt, was es bedeuten kann, das Leben zu umarmen. Und darum schreibe ich. Ich schreibe, um der Welt ein anderes Gesicht zu geben. Ich schreibe, damit der unwissende Verstand lernt, dem vertrauenden Herzen zuzuhören.

„Pedro, der Postbote kommt heute noch vorbei. Ein Telegramm ist für sie dabei.“

Das kann nur Frances sein. Ich breite meine Schreibutensilien aus. Das Notizbuch zu meiner Rechten schau ich aus dem Fenster. Es regnet. Ich greife den angespitzten Stift, nehme einen Schluck Café und beginne zu schreiben.

„Der Geruch frischgebr …“

Schriften & Poesie

XOXO
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Au revoir Bordeaux
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