Nach einem durchsungenden Abschiedsabend in La Faba schaue ich ein letztes Mal in die Augen meiner Mitreisenden. Ein letztes Mal lassen wir gemeinsam die Saiten unserer Ukulelen erklingen, und da es eine ruhige Nacht ist, wandern die berauschten und nicht mehr ganz klaren Stimmen unentschuldbar ins Tal. Mit dem guten Wein aus dem Bierzo verabschieden wir uns von der spanischen Region Kastilien und Leon und lassen uns das rote Blut dieser sagenhaften und scheinbar immergrünen Region schmecken, und weil der Abend moskitogeschwängert und schwül unsere erhitzten Körper umgarnt und die ersten Sonnenstrahlen ohnehin erst in vier Stunden das Tal erreichen, versinken wir im gegenseitigen Überbieten schlecht gesungener Volkslieder.
Meine Herberge für die nächsten Stunden ist klein. Es ist eine Herberge, die Tausende von Pilgern für eine Nacht beherbergt hat, die hungrige Wanderer verpflegt und wohlgenährt nach Galizien weitergeschickt hat, und weil die Hausherrin Tiere liebt, gibt es das Beste, was der vegetarische Kochtopf hergibt.
Luisa, die auch die Küche im Griff hat, kommt immer wieder an unseren Tisch, um die halbleeren Gläser wieder zum Leben zu erwecken. Sie ist eine fantastische Gastgeberin und stimmt immer wieder in unsere schief gesungenen Lieder ein, um ihnen mit ihrer Nachtigallenstimme die Seele zurückzugeben. Sie hat ein junges Herz, und wenn ihr voller Leben durchfurchtes Gesicht lächelt, werden unsere Gedanken für einen Moment ernüchtert, bis zum nächsten Toast auf das Leben und die Liebe und den Kampf um die begehrenswertesten Frauen und weil das Glas sowieso erhoben werden muss.
Mein irischer Pilgerfreund Ed Ó’Connor sitzt zusammengesunken auf der alten Bank direkt unter dem Dachsims. Von unseren Eskapaden bekommt er nichts mehr mit, und so erlebt er auch nicht am eigenen Leib, wie es ist, sich Luisas Gesang hinzugeben. Ed ist Schriftsteller und macht sich jeden Tag Notizen über den Weg, die Menschen, die er trifft und alles, was ihn bewegt. Er selbst ist bewegt, seit er seine Haustür in Dublin mit einem genussvollen Knall hinter sich gelassen hat. Er hat sie nicht einmal verschlossen, sondern sich auf den Weg gemacht, und im Urvertrauen, dass dieser Weg jetzt gegangen werden will, hat er keinen Augenblick gezögert, die immergrüne Insel zu verlassen, um in den Westen des von Eukalyptusbäumen übersäten Spaniens zu pilgern. Seine 55 Jahre sieht man ihm nicht an. Nicht ein einziges Jahr lässt sich aus ihm herauslesen. Er schreibt, wenn ich rede, er redet, wenn ich trinke, und er schläft, wenn ich singe. Er ist ein stiller Mann, ein Freund, und weil er das lebt, was er so liebt und was ihn zum Künstler macht, höre ich ihm zu, wenn er seine Geschichten vorliest.
Ed Ó’Connor verschwendet sich im Schreiben, ich im Zuhören, und so verabschieden wir uns von diesem Tag, und weil es der letzte im Bierzo ist, grüßen wir Galicien mit jedem weiteren schräg gesungenen Lied und jedem gelehrten Glas. Der ferne Westen Spaniens wird uns in wenigen Stunden in der Morgendämmerung begrüßen, aber nicht bevor wir den steilen Weg nach O Cebreiro hinaufgestiegen sind und in Casa Antón einen Topf Caldo Verde gegessen haben.
Schriften & Poesie